Ein Interview zu Strategien zur Fachkräftesicherung des Campus Berlin-Buch mit Dr. Ulrich Scheller, Geschäftsführer der Campus Berlin-Buch GmbH, und Diplombiologin Claudia Jacob, Teamleiterin im Gläsernen Labor.
Laut IHK fehlen in Berlin heute schon branchenübergreifend 90.000 Fachkräfte. Die Zukunftsbranche Gesundheitswirtschaft sieht sich ebenfalls mit fehlenden Fachkräften konfrontiert. Wie stellt sich die Situation auf dem Campus Berlin-Buch dar?
Dr. Scheller: In den Biotechfirmen wird händeringend nach Biologie- und Chemielaborant:innen gesucht, und die Zeiten, in denen Werbung für die Ausbildungsplätze in den Forschungsinstitute kaum erforderlich war, sind vorbei. Viele junge Leute wollen studieren, und von den Auszubildenden gehen einige nach ihrem Abschluss ebenfalls zum Studium, so dass nur wenige im Labor bleiben. Es bedarf einer Rückbesinnung auf die Ausbildungsberufe und den Wert der damit verbundenen Tätigkeiten – das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir arbeiten in Kooperation mit den Forschungseinrichtungen und Firmen kontinuierlich daran, junge Menschen für MINT-Berufe zu interessieren und entlang der Bildungsbiografie immer wieder Impulse zu setzen. Wir fördern auf vielfältige Weise Talente, sowohl als Nachwuchs bei den Fachkräften als auch für die Forschung. Auf der anderen Seite sehen wir, dass auch Fort- und Weiterbildung für gestandene Technische Assistent:innen und Laborkräfte ein dringendes Thema ist. Dem begegnen wir mit Angeboten der Akademie des Gläsernen Labors.
Welchen Anforderungen sehen sich die Fachkräfte im Labor gegenüber?
Dr. Scheller: In die Labore zieht immer mehr Automatisierung, Digitalisierung und Miniaturisierung ein. High-tech-Geräte, Pipettier-Roboter und Hochdurchsatz-Screening erfordern eine entsprechende Methoden- und Technologiekompetenz, einhergehend mit hoher Verantwortung im Umgang mit Zellen oder Erbträgermaterialien. Dazu kommt, dass die Technischen Assistent:innen (TAs) im Labor eine wichtige Schnittstelle für die internationalen, zum Teil länderübergreifenden Teams sind. Sie sind diejenigen, die vor Ort alles vereinbaren, von der Sicherheit über die Gefahrenstoffanalyse bis zum Antrag auf Tierversuche. Da Gesundheit ein großer Wachstumsmarkt ist, wächst der Stellenwert der Laborberufe: Gentechnik, die Arbeit mit Stammzellen und die Entwicklung personalisierter Therapien sind nur in speziell dafür zugelassenen Laboren umzusetzen.
Das Gläserne Labor bietet Laborkurse von Molekularbiologie bis Ökologie, Forscherferien oder Projektwochen. Welche Rolle spielt es für die Berufswahl?
Dr. Scheller: Unsere Strategie ist, vom Kindergarten über die Schullaufbahn hinweg regelmäßig Impulse für das Interesse an Naturwissenschaften und Gesundheitsberufen zu geben. Angefangen vom Entdecken und Hinterfragen von Naturphänomenen in der Grundstufe, geht es in der Mittelstufe eher um eine erste Orientierung in Richtung Ausbildung: Mag ich die Laborumgebung? Finde ich die Experimente spannend? In der Sekundarstufe II geht es um gezielte Impulse zur Studienorientierung und -motivation. Neben Laborkursen gibt es Projektwochen zu spezialisierten Themen wie CRISPR/Cas oder Systembiologie.
C. Jacob: Im Gläsernen Labor haben die Schüler:innen die Möglichkeit, mit modernen Laborgeräten und jungen Wissenschaftler:innen an naturwissenschaftlichen Fragestellungen zu arbeiten. Jährlich kommen bis zu 14.000 Kinder und Jugendliche im Klassenverband zu uns. Unsere Kurse sind eng auf den Rahmenlehrplan bezogen und greifen gleichzeitig aktuelle Forschungsthemen des Campus auf. Die Schüler:innen können sich eine erste Vorstellung von der Arbeit im Labor machen und mit den Wissenschaftler:innen als Role Models über berufliche Perspektiven ins Gespräch kommen. Für Mädchen ab Klasse 9 bieten wir die Arbeitsgemeinschaft „NATürlich Ausbildung“ an, in der ihnen Frauen ihre Berufe vorstellen. Regel-mäßig haben wir Schülerpraktikant:innen und junge Leute, die das Freiwillige Ökologische Jahr bei uns absolvieren. Eine ganze Reihe von ihnen haben anschließend in naturwissenschaftlichen Bereichen wie Pharmazie oder Medizin studiert oder eine Ausbildung gemacht und klar formuliert, dass das Jahr bei uns diese Entscheidung beeinflusst hat.
Welchen Beitrag leisten die Einrichtungen des Campus zur Nachwuchssicherung über das gemeinsam geförderte Schülerlabor hinaus?
Dr. Scheller: Das Max Delbrück Center gibt zum Beispiel Lehrer:innen mit dem Format „Labor trifft Lehrer*in“ Einblicke in seine aktuelle Forschung. Auf diese Weise kann neuestes Wissen leichter in den Unterricht an Schulen einfließen. Mit einer Vorlesungsreihe zu Forschungsthemen des Campus sprechen wir sowohl Lehrer:innen als auch Kursschüler:innen an. Das Max Delbrück Center ist Mitglied des MINT-EC-Netzwerkes und gestaltet das jährliche MINT400-Forum mit. Schüler:innen und Lehrkräfte von Gymnasien beschäftigen sich zwei Tage lang mit aktuellen Forschungsfragen. Auf einem Bildungsmarkt können sie sich zudem über Studien- und Berufsmöglichkeiten informieren. Mit dem German Stem Cell Network richtet das Max Delbrück Center den UniStem Day aus. Er bietet etwa 200 Schüler:innen Workshops und Vorträge zur Stammzellforschung. Die Reihe ließe sich fortsetzen mit dem Girls Day, der Langen Nacht der Wissenschaften und der Berlin Science Week, wo die Einrichtungen zeigen, dass Life Sciences spannend sind und vielfältige Entwicklungschancen bieten.
Hervorheben möchte ich noch das Engagement beim Regionalwettbewerb Jugend forscht, der zum dritten Mal vom Campus ausgerichtet wurde. Paten sind das MaxDelbrück Center, das Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP), das Experimental and Clinical Research Center und wir, die Betreibergesellschaft des Campus. Wir bringen die jungen Tüftler:innen hier mit der Forschungswelt in Berührung, und es ist eine große Freude, ihr Engagement zu erleben.
C. Jacob: Das FMP unterstützt auch die Landesrunde der Chemieolympiade für Schüler:innen der Klassen 8 bis 10 im Rahmen des Wettbewerbs „Chemie – die stimmt!“ Die Lernenden starten jeweils mit einer Klausur und lernen anschließend die Forschungslabore des FMP kennen. Wir sind als Campus auch Gastgeber für die Biologieolympiade im Land Brandenburg. Darüber hinaus laden wir an einem Tag die besten Schüler:innen der Biologie-Leistungskurse aus Berlin und Brandenburg zu uns ein, den Campus kennenzulernen.
Dr. Scheller: Themen des Campus fließen auch beim Kongress für Lehrkräfte „Experimentieren im Unterricht“ ein, den wir in Kooperation mit den Nordostchemie-Verbänden und dem Schülerlabor-Netzwerk GenaU veranstalten. Solche Kooperationen sind wichtig, um die Strahlkraft unseres Life Science Campus zu erhöhen.
C. Jacob: Ein großer Erfolg, der sich der Kooperation mit einem externen Anbieter verdankt, war die Ausbildungsmesse vocatium, die bereits zum zweiten Mal auf unserem Campus stattfand und über 1.000 Schüler:innen anzog. Unter anderem präsentierten sich hier das Max Delbrück Center, die Charité und unser regionaler Partner Helios Klinikum Berlin-Buch. Im Gläsernen Labor gab es zwölf Workshops zur Ausbildung von Biologie- und Chemielaborant:innen, die alle stark nachgefragt waren. Es ist nicht nur wichtig, Nachwuchs an Fachkräften zu fi nden, sondern auch, sie zu binden. Ein Baustein ist die Fort- und Weiterbildung.
Dr. Scheller: Die Akademie des Gläsernen Labors bildet TAs und Laborkräfte für das „Labor 4.0“ weiter, damit sie mit neuen Technologien Schritt halten können. Neben den neuesten technischen Entwicklungen vermittelt sie auch Themen wie Nachhaltigkeit im Labor oder auch Soft-Skills im Laboralltag. Unsere Summer-Schools richten sich an Wissenschaftler:innen, die von der Wissenschaft in die Wirtschaft wechseln wollen, etwa, wenn die Postdoc-Zeit endet. Dafür kooperieren wir mit dem Bildungsausschuss und dem Technologie-Transfer des Max Delbrück Centers.
Das Interview ist in der buchinide 1/23 erschienen.
Foto: Peter Himsel